Stellungnahme zum Beschluss des 4. Strafsenats des OLG Hamm vom 10. März 2022
Az.: III 4 RVs 2/22
Die Vorgeschichte
Am 24.09.2019 kam es in Ibbenbüren zu einem Alleinunfall einer älteren Radfahrerin. Die Verunfallte zog sich durch einen Sturz eine stark blutende Kopfverletzung zu. Ihr wurde durch mehrere Ersthelfer geholfen. Zug um Zug trafen dann die Polizei, der Angeklagte und zuletzt der Rettungsdienst ein.
Einer der Ersthelfer hatte den Unfall aus seinem Auto heraus bemerkt und dieses auf der Fahrbahn abgestellt um Hilfe zu leisten. Die eintreffende Polizei hatte den Streifenwagen schräg gegenüber geparkt. Durch die verbleibende Lücke zwischen den Fahrzeugen konnte der Verkehr einspurig in beide Richtungen hindurchfließen. Es kam nur zu kleineren und kurzzeitigen Stauerscheinungen.
Der Angeklagte näherte sich mit seinem Fahrzeug der Unfallstelle kurz vor dem aus der entgegengesetzten Richtung anfahrenden Rettungswagen. Unstreitig und erkennbar näherte sich der Rettungsdienst mit eingeschaltetem Blaulicht und Sondersignal. Zuvor hatte der Angeklagte die Situation erkannt, also wahrgenommen, dass es einen Unfall mit einer stark blutenden Kopfwunde zu Lasten der auf dem Boden liegenden Dame gegeben hat.
Trotz seiner Kenntnis über den schwerwiegenden Unfall und dem sich offenkundig mit Sonderrechten annähernden Rettungswagen, stoppte der Angeklagte sein Fahrzeug in der Engstelle zwischen dem Fahrzeug des Ersthelfers und dem Streifenwagen der Polizei und blockierte dadurch die Durchfahrt für alle Fahrzeuge. Grund seines Stopps war, dass der Angeklagte sich über den geparkten Wagen des Ersthelfers beschweren wollte. Dem Angeklagten war die freie Fahrt offenbar wichtiger als die schnelle Hilfe für die gestürzte Dame mit ihrer blutenden Wunde.
Die Polizei musste den Angeklagten mehrfach auffordern die Engstelle zu räumen um dem Rettungswagen die Durchfahrt und Ankunft an der Einsatzstelle zu ermöglichen. Der Angeklagte fuhr ein paar Meter weiter, stoppte abermals vor dem sich zu diesem Zeitpunkt ohne eingeschaltetes Signalhorn aber mit eingeschaltetem Blaulicht annähernden Rettungswagen und öffnete die Tür des Fahrzeugs. Erst nachdem der Rettungsdienst abermals das akustische Signal einschaltete, schloss der Angeklagte seine Tür und der Rettungsdienst konnte die Verunfallte endlich erreichen.
Insgesamt hatte der Angeklagte durch sein Handeln die Ankunft des Rettungsdienstes bei der Verunfallten um mindestens eine Minute verzögert.
In der Folge wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Ibbenbüren wegen seines schändlichen Verhaltens verurteilt. Es wurde als erwiesen betrachtet, dass der Angeklagte Widerstand gegen Personen die Vollstreckungsbeamten gleichstehen geleistet habe. Tatmehrheitlich ging sein Handeln mit Beleidigungen und falscher Verdächtigungen einher. Als Strafmaß wurde eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 110 Tagessätzen zu je 65,00 €, also 7.150,00 € sowie ein Fahrverbot von 4 Monaten verkündet.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Der 4. Strafsenat des OLG Hamm hat die Sprungrevision des Angeklagten gegen das gegen ihn ergangene Urteil des AG Ibbenbüren verworfen. Nach dortiger Auffassung hat das Amtsgericht die Tat zu Recht als einen Akt des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamten gleichstehende Personen nach §115 Abs. 3 StGB gewertet. Danach wird wie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bestraft, wer bei Unglücksfällen Hilfeleistende eines Rettungsdienstes durch Gewalt behindert. Als Gewalt wird hier bereits das Versperren des Weges zum Unfallort angesehen, weil dadurch Rettungskräfte einem durch das Hindernis vermittelten körperlichen Zwang unterliegen.
Auch die weiteren Schuldsprüche wegen der Beleidigung des Ersthelfers und einer falschen Verdächtigung der Polizeibeamten durch eine wissentlich unzutreffende Strafanzeige hat der Strafsenat des OLG bestätigt.
Das Strafmaß
Die Strafzumessung, bei der für die Behinderung des Rettungsdienstes eine Einzelstrafe von 90 Tagessätzen berücksichtigt wurde, hat der Senat im Ergebnis seiner Begründung bestätigt. Nach Ansicht des OLG hat das AG zu Recht maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte die Rettungshandlung durch mehrere einzelne Taten verzögert hat. Auch das Fahrverbot wurde als verhältnismäßiger „Denkzettel“ für den Angeklagten bestätigt, da dieser sein Fahrzeug in schwerwiegender Weise im Straßenverkehr missbraucht habe.
Das Fazit
Es ist gut, dass ein Gericht eine maßgebliche und nunmehr auch rechtskräftig gewordene Entscheidung mit Richtungsweisung getroffen hat! Es wurde klargestellt, welche Position unsere Rettungsdienstler, im vorliegenden Fall besonders benannt, aber nicht minder auch unsere Kräfte der Feuerwehren, des Katastrophenschutzes, ein ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme gemäß § 115 StGB innehaben, auch wenn diese keine Amtsträger oder Soldaten im Sinne des § 113 StGB sind.
Die mehrheitlich ehrenamtlichen Mitglieder von Hilfsorganisationen in unserem Land sind somit nicht nur ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft, denen es bereits mit einem besonderen Respekt zu begegnen gilt, sie sind auch Kräfte deren Anweisungen unbedingt folge zu leisten ist, möchte man sich nicht einer Straftat schuldig machen.
Leider kommt es viel zu oft vor, dass eben diese Wertschätzung und Respekt nicht gewährt wird, z.B. dann wenn ein Verkehrsteilnehmer glaubt, die Straße sei aus Spaß gesperrt und man doch so dringend genau diesen Weg befahren muss. Die Anfeindungen gegenüber den Helfern sind oftmals sehr massiv.
Jeder Vorgesetzte aber auch jeder Helfer selbst sollte unbedingt ermutigt werden in berechtigten Fällen jeden Vorfall zur Anzeige zu bringen, der geeignet ist die vorstehend benannten Vorgaben hinsichtlich der Strafbarkeit zu erfüllen. Es sei in diesem Zusammenhang aber auch an die vorherige kritische Überprüfung des eigenen Handelns appelliert.
Eine weitere wichtige Aussage dieses Urteils ist die Benennung einer Zeit von 1 Minute. Nunmehr ist die Behinderung von Einsatzkräften quantifizierbar und nicht mehr nur subjektiv. Jeder Leser ist an dieser Stelle aufgerufen, eine Minute abzuschätzen, während die tatsächlich vergangene Zeit auf einer Uhr ablesbar ist. Sie werden erschrecken, wird Ihnen bewusst, wie lange eine Minute ihnen vorkommen kann. Aus Sicht des Autors ist diese Zeit durch das Gericht sehr komfortabel zu Gunsten des Täters bemessen. 30 oder maximal 45 Sekunden wären sicherlich auch angemessen gewesen, bedenkt man, dass derartige Behinderungen mehrfach auf einer Einsatzfahrt gegenwärtig werden können. Schnell werden aus wenigen Sekunden im Einzelnen mehrere Minuten, die ein Fahrzeug zu spät an der Einsatzstelle eintrifft, um die eine Hilfsfrist überschritten wird oder die ein Mensch Zeit hat in Folge seiner Verletzungen zu sterben.
Jeder Verkehrsteilnehmer ist daher unbedingt aufgerufen, sein Fahrzeug vorausschauend im Verkehrsraum zu bewegen, frühzeitig Raum für Rettungsfahrzeuge (Rettungsgasse) und den Anweisungen von Einsatzkräften unbedingt Folge zu leisten.
Die Politik ist an dieser Stelle gefordert die mit vorbenanntem Urteil festgelegte Zeit zu konkretisieren bzw. zu verschärfen um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig zu garantieren, bzw. alle zuwiderhandelnden Personen bereits nach kurzer Interventionszeit durch angemessene Strafen zur Rechenschaft ziehen zu können.
Deutschland ist einzigartig durch und mit Recht stolz auf das Helfersystem, welches mehrheitlich auf freiwilligem Engagement beruht. Die Verantwortlichen der drei staatlichen Gewalten müssen die Rechte dieser freiwilligen Helferinnen und Helfer stärken, klar definieren und somit sanktionierbar machen.
Dirk Bleschinski
02.05.2022
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